Neumünster/Kiel | Die Ereignisse überschlagen sich. Noch vor zwei Wochen teilte das Bildungsministerium auf Anfrage der CDU mit, dass es in Schulen, in denen ausländische Kinder Deutsch lernen (DaZ-Klassen), keine Probleme gibt: Der obersten Schulaufsicht lägen „keine Hinweise auf Gewaltanwendungen oder Drohungen gegen Lehrer vor“. Inzwischen muss die Behörde die Aussage revidieren. Vor allem in Neumünster ist die Situation an einem DaZ-Zentrum – das ohnehin aufgelöst werden soll – eskaliert. Die Klassen sollen nun auf andere Schulen verteilt werden – die allerdings „aufgrund ihrer Zusammensetzung auch Schwierigkeiten haben“, wie Schulrat Jan Stargardt einräumt.

In einem Brandbrief, dessen Existenz das Ministerium bestätigt, hatten Lehrer den Schulrat über unhaltbare Zustände unterrichtet. Sie beklagen, dass sie mit Tischen beworfen, beschimpft, beklaut und beleidigt werden. Einige Schüler – vorwiegend Rumänen und Bulgaren – seien eine Gefahr für jede Lehrkraft, und „anarchische Zustände“ grenzten an Körperverletzung. Auch Mitschüler seien gefährdet. Ihnen würden gezielt Stifte ins Auge geworfen. Neuester Trend – jemanden ohne Vorwarnung die Treppe runterschubsen. Die Motivation gehe gegen null, die Teilnahme am Unterricht erfolge nur sporadisch, und Hausaufgaben würden abgelehnt. Entsprechend gering sei der Lernfortschritt. Auch Eltern hatten sich massiv – mit Kampfhunden – in den Streit der Nationalitäten eingeschaltet und es kam auf dem Schulhof zu Massenschlägereien.

Die Lehrergewerkschaft GEW ist entsetzt. Die Zustände seien unhaltbar, fast täglich sei die Polizei in der Schule. „Die Lehrer dürfen nicht mit gesellschaftlichen Problemen allein gelassen werden, die durch die Zuwanderung entstehen“, erklärte GEW-Sprecher Bernd Schauer. Es sei allerhöchste Zeit, dass sich alle an einen Runden Tisch setzten: Lehrkräfte, Ministerium, Oberbürgermeister, Sozialer Dienst, Polizei und GEW. „Wir lösen keine Probleme, indem wir sie leugnen und den Kopf in den Sand stecken und Maulkörbe helfen nicht weiter“, ist Schauer überzeugt.

Auch Volker Dornquast, der für die CDU die kleine Anfrage stellte, hat noch offene Fragen: „So etwas wie die Verteilung der Schüler zum 1. Februar auf andere Schulen entscheidet kein Ministerium innerhalb von zehn Tagen.“ Das Ministerium müsse also schon am 3. Januar bei der Beantwortung seiner Anfrage nach Gewalt in DaZ-Klassen von den Problemen gewusst haben. „Das wird ein parlamentarisches Nachspiel haben“, kündigte Dornquast an. Es müsse „endlich Schluss sein mit dieser unerträglichen Schönrederei“. Verantwortlich für die Eskalation sei „die Wagenburgmentalität des Bildungsministeriums“. Sobald Lehrkräfte von Problemen berichteten, werde ihnen ein Maulkorb verpasst.

http://www.shz.de/regionales/schleswig-holstein/mit-tischen-beworfen-und-beklaut-an-sprach-schulen-eskaliert-die-gewalt-id15876196.html



Neumünster/Kiel. Zoff in der Neumünsteraner Helene-Lange-Schule, Schüler kommen nicht zum Unterricht, Eltern gehen auf dem Schulhof aufeinander los, Lehrer werden bestohlen und beleidigt: Nachdem mehrere Lehrer in einem Brandbrief solche für sie unhaltbaren Zustände beschrieben haben, waren sie gestern Thema im Bildungsausschuss des Landtags.

Weil die alte Regionalschule ausläuft und ihre Oberklassen abgibt, wurden in der Schule zahlreiche DaZ-Klassen (Deutsch als Zweitsprache) untergebracht. Vor allem mit einigen Schülern und Eltern aus Rumänien und Bulgarien, die nach dem EU-Beitritt der Länder nach Neumünster kamen, gebe es Probleme, heißt es in der Lokalzeitung. „Das SPD-Bildungsministerium muss endlich handeln“, empörte sich der CDU-Landtagsabgeordnete Volker Dornquast.

Gestern im Ausschuss gab SPD- Bildungsstaatssekretär Dirk Loßack zu, dass es an der Schule „eine angespannte Situation“ wegen „abweichenden Verhaltens“ gebe. So sei nach Angaben des Schulrats vor Ort zwar weniger Gewalt gegen Lehrer ein Problem, sehr wohl aber das Schuleschwänzen, die Verweigerung der Hausaufgabenerledigung und „verbale Entgleisungen“, wobei das von Eltern und Vätern eher mitgetragen als problematisiert werde“. Zudem bestünden „erhebliche Konflikte zwischen Familien, die teilweise im schulischen Umfeld ausgetragen würden“. Man habe aber bereits gegengesteuert. Die DaZ- Klassen in Neumünster würden jetzt auf mehrere Schulen verteilt, auch auf die Gymnasien. Dem Schulamt Neumünster seien zusätzliche 6,25 Planstellen für DaZ zugewiesen worden. Seit Januar gebe es an der Helene-Lange zudem bereits zwei Sprachlotsen für rumänisch. Und es gebe einen regelmäßigen Runden Tisch, an dem auch Stadt und Polizei beteiligt seien. Kurzfristig solle auch ein Bildungsberater für Sinti und Roma eingesetzt werden.

Die Lehrergewerkschaft GEW fordert, Schulen in sozialen Brennpunkten generell mehr Lehrer für kleinere Klassen zuzuweisen. Es müssten zudem mehr Dolmetscher zur Verfügung stehen, sagt GEW-Geschäftsführer Bernd Schauer. Dann könnten Konflikte meist schon im Keim erkannt und geklärt werden. CDU und FDP warfen der Landesregierung vor, das Problem vertuschen zu wollen. So habe das Bildungsministerium noch Anfang Januar auf eine Anfrage bestritten, dass es solche Vorfälle im Land gebe. Es sei nach Gewalttaten gegen Lehrer gefragt worden, verteidigte Loßack sich. Die habe es tatsächlich nicht gegeben.

http://www.ln-online.de/Nachrichten/Norddeutschland/In-DaZ-Klasse-fliegen-die-Fetzen


Im Fall der Gewalteskalation an einer DaZ-Schule in Neumünster hat der zuständige Schulrat, Jan Stargardt, auf die Berichterstattung reagiert. In einer Pressemitteilung des Kieler Bildungsministeriums heißt es, Stargardt habe nach vielen Gesprächen mit Schulen aller Schularten und mit dem Schulträger bereits vor Bekanntwerden der Probleme Maßnahmen ergriffen, die angespannte Situation wegen einer sehr hohen Auslastung der Schulen in Neumünster zu entspannen.

Lehrer hatten sich zuvor über unhaltbare Zustände beklagt. Sie seien mit Tischen beworfen, beschimpft, beklaut und beleidigt worden. Der Staatssekretär im Bildungsministerium Dirk Loßack erklärte am Donnerstag, er habe erst am Vortrag von dem Brandbrief der Lehrer erfahren.

Stargardt informierte inzwischen über Maßnahmen, mit denen gegen die Gewalt an der Schule vorgegangen werden soll:

  • Zur gerechteren Verteilung der Schüler nichtdeutscher Sprache wird die Zahl an DaZ-Zentren in der Sekundarstufe I zum Februar 2017 von zwei auf fünf erhöht. Die Standorte seien die Wilhelm-Tanck-Schule, Hans-Böckler-Schule, Helene-Lange-Schule, Immanuel-Kant-Schule und die Freiherr-vom-Stein-Schule.
  • Zeitnah werde mit der Gemeinschaftsschule Faldera eine Gemeinschaftsschule mit Oberstufe starten. Der Schulrat strebt den 1. April 2017 an.
  • Bereits zum 1. August 2016 sei die Zahl der DaZ-Zentren in der Primarstufe von drei auf acht erhöht worden.
  • Zum 1. August 2017 werde die Zahl der Standorte weiter erhöht. So hat bereits die Klaus-Groth-Schule (Gymnasium) ihr Interesse bekundet.
  • Dem Schulamt Neumünster seien zusätzliche 6,25 Planstellen für DaZ zum 1. Februar 2017 zugewiesen worden. „Dieses ermöglicht eine angemessene Lehrerversorgung bei der Einrichtung neuer DaZ-Zentren“, betont der Schulrat. Die Stellen befinden sich noch in der Ausschreibung.
  • Die Helene-Lange-Regionalschule laufe geplant aus, daher gebe es immer weniger Regionalschülerinnen und -schüler bei gleichzeitigem Zuwachs in den DaZ-Klassen. Um diese Situation zu verändern, findet zum 1. Februar 2017 eine Umverteilung der Schülerinnen und Schüler der Basisstufe auf die neu eingerichteten DaZ-Zentren statt.
  • Zudem werden seit dem 9. Januar 2017 bereits zwei Sprachlotsen (rumänisch, zweimal pro Woche für zwei Stunden) eingesetzt. „Diese Maßnahme ist erfolgreich gestartet“, sagt Stargardt.
  • Es gebe Elterngespräche mit Dolmetschern, die immer beliebter würden.
  • Kurzfristig sollen auch eine Bildungsberaterin/ein Bildungsberater für Sinti und Roma an zunächst zwei Tagen in der Woche eingesetzt werden.
  • „Es gibt eine sehr enge Zusammenarbeit von Helene-Lange-Schule und Schulamt, schulischer Erziehungshilfe, Polizei und weiterer außerschulischer Partner“, hebt der Schulrat hervor.
  • Die Kreisfachberaterin für DaZ habe ihren Arbeitsplatz direkt an der Schule und unterstütze das Kollegium in fachlicher Hinsicht. Stargardt betont, dass es bei den aktuellen Problemen weniger um Gewalt von Schülerinnen und Schülern gegen Lehrkräfte gehe, vielmehr seien abweichendes Verhalten (Schulabsentismus, keine Hausaufgaben, verbale Entgleisungen) ein Problem, das von Eltern/Vätern eher mitgetragen als problematisiert werde. Zudem bestünden erhebliche Konflikte zwischen Familien, die teilweise im schulischen Umfeld ausgetragen würden.

http://www.shz.de/regionales/schleswig-holstein/politik/gewalt-im-daz-zentrum-schulrat-erklaert-was-er-dagegen-tun-will-id15882781.html